Pummelland [Лидия Викторвна Огурцова] (fb2) читать онлайн


 [Настройки текста]  [Cбросить фильтры]
  [Оглавление]

PUMMELLAND                  Lidija Ogurzowa

Im Kindergarten "Pummellütt"

Es war einmal ein Land, das war so winzig, dass es auf keiner Landkarte zu finden war. Dieses Land hieß Pummelland und war trotzdem ein richtiges Land. In ihm wohnten drollige kleine, rundliche Menschlein – die Pummelaner. Der König von Pummelland, Seine Pummellenz, begleitete jeden Morgen seine Kinder – Prinzessin Pummelinchen und Prinz Pummelino – zu den Palasttoren. Diese marschierten alsdann frohen Mutes in Begleitung ihrer Kinderfrau zum Kindergarten. Und wenn die Kinder anderswo auf der Welt gar nicht gerne in den Kindergarten gingen und vielleicht sogar auf dem Weg dorthin plärrten und bockig waren, so träumten in Pummelland alle Kinder davon, im Kindergarten zu sein. Es war nämlich so, dass der König seine Kinder so lieb hatte, dass er, als es an der Zeit war, sie zu erziehen, folgenden Befehl erließ:

"Im Namen des Königs!

Vom heutigen Tage an müssen alle Wünsche der Kinder im Kindergarten 'Pummellütt' unverzüglich erfüllt werden. Wer meinem Befehl nicht Folge leistet, wird hingerichtet."

Nach einigem Nachdenken fügte er noch hinzu "unverzüglich".

Die kleine Prinzessin wusste nicht, was das Wort "unverzüglich" bedeutet. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da sie gerade erst begonnen hatte, silbenweise das Lesen zu lernen. Als aber die alte Kinderfrau Fräulein Pummelmeier das Wort vernahm, entgegnete sie, dass sie um keinen Preis in diesem Kindergarten arbeiten wolle. Das muss wohl bedeuten, dachte die kleine Prinzessin, dass das Wort "unverzüglich" sehr wichtig und entscheidend sein muss. Hatte nicht die Kinderfrau gesagt, dass die Erziehung von kleinen Prinzessinnen und Prinzen eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe sei?

Der Hund Pusso lief neben der Prinzessin her und wedelte munter mit dem Schwanz. Er war klein und rundlich und hatte winzige, weiche Tatzen. Als die Kinderfrau, die Kinder und der Hund am Eingang des Kindergartens "Pummellütt" angekommen waren, hörte man von drinnen heraus bereits die lauten Rufe der älteren Zöglinge:

"Wir wollen Coca-Cola, Coca-Cola!"

Sie verlangten von den Erziehern, dass man ihnen die süße Limonade zum Frühstück gebe. Irgendwo von weiter oben hörte man die lärmenden Stimmen der Kinder aus der Mittleren Gruppe:

"Eis-creme! Eis-creme!"

Und das ohrenbetäubende Gebrüll der Kleinen:

"Lol-li-pops! Lol-li-pops!"


Plötzlich trippelte die Kindergartenleiterin auf ihren kleinen dicken Beinchen schnell an ihnen vorbei, ein feuchtes Tuch um den Kopf geschlungen. Pusso wedelte munter mit dem Schwanz und schlüpfte durch die offene Tür. Der Prinz und die Prinzessin liefen fröhlich hinter ihm her.


Kapitel 2

Der Tagesablauf

Jeder echte Kindergarten braucht einen geregelten Tagesablauf. Dieser unterschied sich im Kindergarten "Pummellütt" in nichts von dem anderer, gewöhnlicher Kindergärten. Es gab Frühsport, es wurden Spaziergänge mit den Erziehern gemacht und es wurde sogar Mittagsschlaf gehalten. Weil aber wegen des Befehls des Königs die Erzieher den Kindern nicht widersprechen durften, waren die Kinder, ach diese unvernünftigen Kinder…! Zum Frühstück verlangten sie Coca-Cola anstelle von Tee mit Milch und statt Grießbrei wollten sie Eiscreme. Den ganzen Tag riefen sie nur: Ich will! Ich will! Ich will! Und ihre Wünsche erfüllten sich sofort – wie von Zauberhand.

An der Tür zur Mittleren Gruppe traf Pummelinchen den kleinen Pummelplatsch. Er hielt drei Kugeln Eiscreme in der Hand und schleckte mit seiner rosa Zunge eifrig nacheinander die drei schmelzenden Kugeln ab. "Harro, Pummerinchen", sagte Pummelplatsch und wurde rot dabei. Er konnte das "L" noch nicht so gut sprechen und war deshalb der kleinen Prinzessin gegenüber etwas schüchtern. "Grüß Dich", erwiderte Pummelinchen lächelnd. Plötzlich stürzte Pusso wie vom Blitz getroffen in das Zimmer und stieß mit Pummelplatsch zusammen. Der stolperte und ließ eine Kugel Eis auf den Boden fallen. "Tja, so ist das immer. Sogar die Hunde schubsen mich", dachte er betrübt und machte sich auf, eine neue Kugel Eis zu holen.

Die Prinzessin blieb mitten im Zimmer stehen. Sie suchte ihre Freundin. Es war ganz ruhig, weil alle Kinder noch damit beschäftigt waren, die letzten Reste Eis aus ihren Schälchen zu schlecken. Die klebrigen, verschmierten Eishände wischten sie an der schneeweißen Tischdecke ab. Den Erziehern juckte es in den Händen beim Anblick der bekleckerten Kindergesichter, aber sie durften die Kinderlein unter Androhung der Todesstrafe nicht ohne deren Erlaubnis sauber machen. Und so schauten sich die Erzieher diese Zustände weiterhin schweigend an.

"Wo ist nur Pummelette? Ich muss ihr was erzählen", fragte sich sie Prinzessin und schaute sich nach allen Seiten um.

"Pummelinchen, ich bin hier!", rief die schwarzhaarige Pummelette ihrer Freundin mit heiserer Stimme zu. Sie lief auf die Prinzessin zu, bahnte sich einen Weg durch die Kinder und stieß dabei ein paar Stühle zu Boden. "Willst Du etwas Eiscreme mit Nüssen?", krächzte sie. Pummelinchen mochte Nußeis überhaupt nicht, wollte aber ihre beste Freundin auch nicht vor den Kopf stoßen. Pummelette reichte ihr zwei riesengroße, süße Kugeln Eis. Die Prinzessin schaute den Eisbecher freudlos an und begann, das Eis zu löffeln.


Kapitel 3

Ein Spaziergang an der frischen Luft

Nach dem Frühstück zogen die Kinder aus der Mittleren Gruppe sich etwas über und machten sich zu einem Spaziergang auf. Hinter ihnen watschelte mit seinen kurzen Beinchen der beleibte Dr. Tut-nich-weh, der vorsichtig eine große Flasche Jodtinktur in seinen Händen trug.

Pummelinchen setzte sich mit einem soeben gepflückten Kamillensträußchen auf eine Bank. Pummelette ließ sich neben ihr nieder und steckte ihre Stupsnase in den Blumenstrauß.

"Wie das duftet", schwärmte sie.

"Pummelette, Pummelette – hast Du die blauen Ratten gesehen?", begann die Prinzessin, ihre Freundin auszufragen.

"Ratten? Was für Ratten?", wunderte sich Pummelette.

"Erinnerst Du Dich etwa nicht? Du hast Teller und Untertassen nach ihnen geworfen. Dann haben wir uns an den Händen gefasst, sind los geflogen und lange um das Schloss gekreist."

"Wir sind geflogen?", fragte Pummelette und schüttelte voller Zweifel den Kopf, "Das war doch ein Traum."

"Ein Traum?"

"Natürlich, ein Traum. Ich erinnere mich nämlich an nichts. Das kann nur heißen, dass Du es geträumt hast."

Die Prinzessin wandte sich beleidigt ab.

"Sind die Teller denn kaputt gegangen?", fragte Pummelette versöhnend.

"Nein", antwortete die Prinzessin, ohne sich umzudrehen.

"Na, da siehst Du's – dann war es ein Traum. Der Pummelplatsch hat gestern einen Teller fallen lassen, der dabei in tausend Stücke zersprungen ist."

"Ja, das stimmt." Die Prinzessin drehte sich zu ihrer Freundin um, "Erinnerst Du Dich wirklich an nichts?"

Pummelette schüttelte den Kopf.

"Das bedeutet, dass es wirklich ein Traum war", flüsterte die Prinzessin kaum hörbar und atmete auf.

"Ha, ha, ha – Du hast eine gelbe Nase", brach plötzlich der direkt hinter ihnen stehende Pummelplatsch in Gelächter aus. Er streckte seinen kurzen Finger aus und stupste Pummelette damit fast an die Nase.

"Sie ist gar nicht gelb", erwiderte Pummelette beleidigt, "Warum schleichst Du überhaupt hinter uns her?"

"Gelbnase, Gelbnase", neckte Pummelplatsch weiter.

Die mit Blütenstaub bedeckte Nase von Pummelette erschien plötzlich noch gelber in ihrem Gesicht, das vor Unmut ganz rot geworden war.

"Neck uns nur weiter", krächzte die verärgerte Pummelette und jagte hinter dem ungeschickten, dicklichen Jüngelchen her.

Als sie ihn am Sandkasten erwischte, schlug sie mit ihren kleinen Fäusten auf ihn ein. Und plötzlich fielen sie beide in den feuchten Sand. Das freundschaftliche Gebrüll der Kleinen verkündete allen anwesenden Personen, dass der Kindergarten "Pummellütt" gerade seinen Spaziergang machte. Die erschrockenen Erzieher versuchten, die Kinder auseinander zu bringen und der Arzt begann mit der für ihn alltäglichen Arbeit, die Schrammen in den Gesichtern und Kratzer an den Knien der ausgelassenen Kindergartenkinder mit seinem Mittelchen zu versorgen.

"Aua, aua – oh weh, oh weh", war überall zu hören. Alles war wie immer. Am Ende des Spaziergangs sahen die Kinder nicht mehr wie normale, anständige Kinderlein aus, sondern vielmehr wie angemalte Clowns.



Kapitel 4

Gesangsunterricht in der Großen Gruppe

Es war langsam Zeit für das Mittagessen. In der Großen Gruppe fing der Musikunterricht an. Der Musiklehrer Herr Pummelkowski war ein großer Mann. Er sah überhaupt nicht wie die anderen Pummelaner aus. Seine langen Beine und dünnen Arme waren auch der Grund, warum die rundlichen Pummelaner ihn verspotteten.

Der Musikunterricht in der Großen Gruppe fing unmittelbar vor dem Mittagessen an.

"F-Dur, bitte", wandte sich Herr Pummelkowski an den Kapellmeister. Die Finger des Pianisten tanzten über die Tasten und Musik schwang durch das ganze Zimmer. Die Kinder fingen an zu singen, allerdings nicht sehr schön.

"Stopp, stopp", der Lehrer klatschte in die Hände, "Ihr singt nicht richtig. Ab hier noch mal, bitte", und er sang eine Zeile richtig vor. Er drehte sich zum Prinzen um und sagte: "Ihr singt unrein, mein Herr. Probiert es noch einmal…"

Er hatte schon den Arm geschwenkt und Musik begann, den Raum zu erfüllen, als er plötzlich hörte:

"Ich werde nicht singen. Ihr unterrichtet uns falsch!"

Die Röte schoss dem Prinzen ins Gesicht. Pummelino blickte Herrn Pummelkowski mit böse funkelnden Augen finster an.

"Falsch unterrichten? Ich?", erwiderte bestürzt Herr Pummelkowski.

"Ja, Ihr", rief der Prinz und zeigte mit dem Finger auf ihn.

"Falsch, falsch", fingen nun auch die anderen Kinder der Großen Gruppe an zu rufen. Sie wollten nicht mehr singen. Sie schrieen und stampften mit den Füßen.

"Entfernt diesen Lehrer von uns, er unterrichtet uns falsch!"

Die Kindergartenleiterin schaute ängstlich durch die spaltbreit geöffnete Tür.

"Er macht nicht das, was wir wollen", brüllten die Kinder.

"Er muss hingerichtet werden", schlussfolgerte der Prinz unbarmherzig.

"Hinrichten, hinrichten", wiederholten die Anderen.

"Hinrichten? Weswegen? Ich mache doch nur meine Arbeit. Ich wollte ihnen die wunderbare Welt der Musik nahe bringen. Aber vielleicht bin ich ja wirklich ein schlechter Lehrer", dachte Herr Pummelkowski und ließ den Kopf niedergeschlagen hängen.

Die Wache war augenblicklich zur Stelle und führte den vom Unglück verfolgten Musiklehrer ab. Er ging mit niedergeschlagenem Blick und verbarg seine langen Arme auf dem Rücken.

Die Musikstunde war vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hatte.


Kapitel 5

"Stille Stunde" im Kindergarten

"Das ist wirklich sonderbar", flüsterte Prinzessin Pummelinchen ihrer Freundin ins Ohr. Sie lagen nebeneinander auf ihren Bettchen und schmiegten sich eng aneinander. Im Kindergarten "Pummellütt" war gerade "Stille Stunde".

"Der Musiklehrer ist wirklich ein guter Lehrer. Wie sie es nur wagen konnten, die Wache zu rufen", entrüstete sie sich weiter.

"Ja, er ist ein guter Lehrer. Er hat uns doch das feine Liedchen beigebracht", erwiderte Pummelette und fing mit ihrer erkälteten Stimme an zu singen:

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,

wie grün sind deine Blätter!

Du grünst nicht nur zur Sommerszeit,

nein auch im Winter, wenn es schneit

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,

wie grün sind deine Blätter!

Fröhlich stimmte Prinzessin Pummelinchen ein und sang mit:

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,

du kannst mir sehr gefallen!

Wie oft hat nicht zur Weihnachtszeit,

ein Baum von dir mich hoch erfreut.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,

du kannst mir sehr gefallen!

Sie vergaßen vollkommen, dass gerade "Stille Stunde" war und neben ihnen die Kinder schliefen. Sie richteten sich auf ihren Bettchen zu voller Größe auf und sangen zu zweit lauthals weiter. Um sie herum wurden die Kinder wach. Erst waren sie etwas verstimmt, aber dann sangen alle gemeinsam das Lied zu Ende:

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,

dein Kleid will mich was lehren:

Die Hoffnung und Beständigkeit

gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,

dein Kleid will mich was lehren.

Als die Kinder alle Strophen des bekannten Weihnachtsliedes gesungen hatten, sprangen sie auf ihren Betten auf und ab, bewarfen sich mit Kissen und schlugen Purzelbäume auf dem Boden. Die "Stille Stunde" in der Mittleren Gruppe ging ihrem Ende entgegen.

"Wir werden ihn retten", verkündete die Prinzessin unerfindlicherweise flüsternd.

"Natürlich werden wir das!", rief Pummelette und schmiss mit einem Kissen.


Kapitel 6

Der Palastkerker

Es war Nacht geworden. Wie kleine Laternen blinkten die Sterne am samtenen Himmelsgewölbe. Eine Sichel des zunehmenden Mondes schaute hinter dem alten Palastturm hervor. Im Kerker war es kalt. Der Musiklehrer schlief, den Kopf auf seine Hände gebettet, auf einem Lumpensack. Ein Kerzenstummel erleuchtete die Zelle des Gefangenen nur spärlich. Eine große, finstere Ratte hatte es sich am Eingang zu ihrem Loch gemütlich gemacht und erwartete den Moment, an dem die Kerze endgültig erlöschen würde. Im Schlüsselloch der Tür drehte sich ein Schlüssel, dann öffnete sie sich knarrend. Der Lehrer wischte sich die schlaftrunkenen Augen und rief überrascht aus:

"Eure Hoheit!"

Auf der Schwelle der Kerkerzelle stand der König von Pummelland. Aber was war das? Der König wurde plötzlich immer kleiner. Er wurde vollkommen winzig. Die Krone auf seinem Kopf geriet ins Wackeln und plumpste auf den Boden. Und aus dem königlichen Mantel heraus blickten zwei grinsende Gesichter. Es waren die Prinzessin Pummelinchen und ihre beste Freundin Pummelette!

"Ach, kleine Prinzessin!", wunderte sich der Lehrer noch mehr, "Ich muss wohl träumen."

"Nein, Ihr träumt nicht", krächzte Pummelette erkältet.

"Schnell, schnell, raus hier", trieb die Prinzessin zur Eile an.

Herr Pummelkowski verlor keine Zeit mehr mit leerem Gerede und schlüpfte durch die geöffnete Tür. Die alte Ratte piepste unzufrieden und verbarg sich wieder in ihrem Loch.


Von den Wachen war draußen nichts zu sehen. Die Kinder versteckten sich im Schatten der Palastmauer und liefen schnell zu den Toren. Schon nach einigen Minuten standen die Prinzessin Pummelinchen, ihre Freundin Pummelette und der Musiklehrer vor den Toren des Palastes.

"Was passiert denn jetzt? Der König wird sowieso erfahren, was passiert ist und dann…", der Lehrer kam nicht dazu, auszureden, weil ihn die Prinzessin unterbrach.

"Beeilt Euch, Herr Pummelkowski. Ihr müsst Euch in der Hütte im Wald verstecken und dürft Euch keine Sorgen machen. Ich werde mir schon was einfallen lassen."

Der Lehrer drückte die zerzausten Köpfe der Mädchen für einen Moment an sich und rannte in Richtung Wald davon. "Diese feinen Kinderlein! Wenn nur der König auch weiterhin nichts davon erfährt!", dachte er, als er sich im Gestrüpp eines Busches versteckte.

"Komm, wir gehen in den Palast – wir müssen noch den Mantel und die Krone zurück bringen", stellte die kleine Prinzessin fest.


Kapitel 7

Die Verkleidungsaktion

Eine Stunde früher, nachdem sie aus dem Kindergarten nach Hause gekommen war, hatte sich die Prinzessin den Plan für die Befreiung des Musiklehrers ausgedacht. Der Plan war ziemlich einfach: man brauchte sich nur als König zu verkleiden, den Kerkerschlüssel zu beschaffen und die Tür zu öffnen, hinter der der Lehrer schmachtete. Die Prinzessin schlüpfte unbemerkt in das königliche Schlafzimmer und ging in den geheimen Wandschrank hinein. Hinter dem war die Tür, die zu den Geheimgängen des Palastes führte. Nachdem sie einige Meter durch diese gelaufen war, stieß sie auf eine weitere Tür. Sie führte zu einer Kammer, in der alte, ausgemusterte Sachen aufbewahrt wurden. In der Kammer war es dunkel. Der schwache Schein einer Kerze flackerte in der Hand der Prinzessin.

"Pummelette hat gesagt, dass es nur ein Traum war. Dann gibt es also gar keine blauen Ratten", dachte Pummelinchen und erinnerte sich an ihr morgendliches Gespräch mit der Freundin.

"Manchmal kann ein Traum schrecklich sein", flüsterte die Prinzessin und schaute sich nach allen Seiten um. Aber es war ganz ruhig um sie herum und nichts Außergewöhnliches passierte.

Mitten in der Kammer stand ihr kleines Kinderbettchen mit der rosafarbenen, weichen Decke. Auf dem Boden lag eine blauäugige Puppe mit abgebrochener Nase herum. In der Ecke stand das kaputte Schaukelpferd des Prinzen. Und dann erblickte Pummelinchen die große Krone ihres Großvaters in der Ecke. Die Edelsteine, die sie einst zierten, waren längst heraus gefallen und an ihrer Stelle klafften große schwarze Löcher in der Krone.

"Nun", überlegte Pummelinchen und probierte die Krone auf, "das wird schon niemand merken. Draußen ist es ja dunkel." Nachdem sie noch etwas in den alten Sachen herum gekramt hatte, fand sie einen alten, unmodernen königlichen Umhang. Sie versteckte die alte Krone und den Mantel in ihrem Rucksäcklein und schlüpfte durch die Tür hinaus. Den Schlüssel zum Kerker, in dem der Musiklehrer saß, zu beschaffen und die Wache abzulenken, würde wesentlich schwieriger werden.

Pummelette und der treue Hund Pusso warteten am Eingang des Turmes bereits auf die Prinzessin.

Es waren drei Wachen dort.

"Sie klopfen die ganze Zeit Karten auf den Tisch und rufen 'Reh'", flüsterte die Freundin der Prinzessin ins Ohr. Sie hatte auf Bitten der Prinzessin die letzte halbe Stunde die Wachen beobachtet. Pummelette hatte die durch das Kartenspiel abgelenkten Wachen aufmerksam beobachtet. Aber ein Reh hatte sie nirgendwo gesehen.

"Ein komisches Spiel", erwiderte die Prinzessin, "Wir müssen sie mit irgendetwas ablenken." Direkt am Rand des Tisches lag ein Beutel mit Münzen, um den die Wachen spielten. Die Prinzessin streichelte den vor Freude winselnden Pusso, zeigte auf den Beutel und flüsterte "Fass!" Was dann passierte, dauerte nur ein paar Sekunden. Pusso verbiss sich stürmisch in dem Beutel, riss ihn zu Boden und rannte damit weg. Die überraschten Wachleute liefen hinter ihm her und brüllten "Haltet den Dieb!" Nun war der Weg in das Verlies frei. Die Prinzessin setzte die Krone auf, hielt sie mit den Händen fest und stieg auf die Schultern ihrer Freundin. Sie hatte sich einen Schnurrbart ins Gesicht gemalt, der sie ihrem Vater ähnlich sehen ließ. Sie warf den Umhang um, versteckte Pummelette darunter und wandte sich der Stube des Hauptmanns der Wache zu.

"Wache! Wo ist die Wache?", krächzte Pummelette auf Geheiß der Prinzessin unter dem Mantel hervor, "Warum ist der Gefangene ohne Bewachung?"

"Eure Hoheit", stotterte der Hauptmann erschrocken und kam ihnen entgegen, "Ich werde sofort, auf der Stelle…"

"Raus hier!", befahl Pummelette krächzend und stampfte wütend mit den Füßen.

Die Krone auf dem Kopf der Prinzessin begann zu wackeln. Vor lauter Angst, sie könne ihr herunterfallen, blickte Prinzessin Pummelinchen finster drein. Der Hauptmann sagte kein Sterbenswörtchen mehr und schoss wie eine Kugel aus seiner Wachstube.

Die kleine Prinzessin griff sich den Schlüssel, der an der Wand hing. Am anderen Ende des Palasthofes war Pussos wütendes Gebell und das Geschrei der Wachen zu hören. Als Pummelinchen die Tür öffnete, wusste sie, dass ihr Plan geglückt und der Musiklehrer so gut wie befreit war.


Kapitel 8

Die Krankheit der kleinen Prinzessin

Die ersten Sonnenstrahlen erhellten das Gemach der kleinen Prinzessin. Pummelinchen, die noch schlief, hatte im Schlaf ihre Decke weggestrampelt. Ihre wunderschönen blonden Haare lagen über das ganze Kissen verteilt. Schweißtröpfchen standen ihr auf der Stirn. Wie kleine Bächlein rannen sie die glühenden Wangen der kleinen Prinzessin hinunter. Während sie mit ihrer Zunge über die ausgetrockneten Lippen fuhr, flüsterte sie etwas. Die alte Kinderfrau beugte sich gähnend über Pummelinchens Köpfchen:

"Durst, Durst", flüsterte die Prinzessin.

"Sofort, sofort", erwiderte die Kinderfrau geschäftig. Und die Prinzessin fuhr fort:

"Wache, wo ist die Wache? Schnell, Pummelette – wir müssen ihn retten!"

"Sie fantasiert", erschrak sich die Kinderfrau, "Einen Doktor! Schnell, schickt einen Doktor! Prinzessin Pummelinchen ist krank!"

Die Nachricht über die Erkrankung der Prinzessin verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Palast. Der erschrockene König kam als erster ins Schlafgemach der Prinzessin gerannt. Hinter ihm, auf seinen kurzen Beinen heftig hin und her schwankend, trippelte Dr. Tut-nicht-weh. Dieses Mal hatte er anstelle der großen Flasche Jodtinktur einen kleinen Koffer dabei. Aus diesem zog er ein Thermometer, Hustensaft sowie einige Pillen und beugte sich über die Prinzessin:

"Rettet ihn!", flüsterte die Prinzessin, "Schnell, rettet ihn!"

"Sie glüht ja. Ach, was für ein Unglück!"

"Sie hat zuviel Eis gegessen", mutmaßten die Hofdamen, die um das Bett der Prinzessin herumstanden.

"Pummelette, hilf, Pummelette," flüsterte die Prinzessin mit völlig trockenen Lippen.

"Ich bin schon bei Dir, Pummelinchen", drängte sich Pummelette, vollkommen außer Atem, durch die Menge an das Bett der Prinzessin. Sie nahm die heiße Hand der Prinzessin in die ihre und versicherte ihr: "Ich bleibe bei Dir. Ich gehe nirgendwo hin."

Aber die kleine Prinzessin hörte nichts. Sie hatte wieder einen Alptraum. Im Traum versuchte sie, die Tür zum Kerker zu öffnen. Aber diese ging irgendwie überhaupt nicht auf. Und plötzlich zog die alte Ratte, die sich im Mantel verbissen hatte, die treue Freundin Pummelette weg.

"Pummelette, rettet Pummelette!", flüsterte die kleine Prinzessin im Fieberwahn.

Der König blickte niedergeschlagen auf seine Tochter herab. Da wurde plötzlich die Zimmertür aufgerissen.

"Eure Hoheit, jemand hat den Gefangenen frei gelassen. Die Tür zum Kerker steht offen. Der Gefangene ist geflohen."

Auf der Türschwelle stand Pummellands Erster Minister. Der König warf dem Minister einen zornigen Blick zu.

"Ich befehle, den Palast zu umstellen und alle Erzieher des Kindergartens 'Pummellütt' zu verhaften!"

Einige Minuten später leerte sich das Schlafgemach der Prinzessin. Fräulein Pummelmeier saß schnaufend in einem tiefen Sessel. Durch das Fenster hörte man, wie der Hauptmann der Wache seinen Soldaten Befehle entgegenbrüllte.

Die verängstigte Pummelette schmiegte sich an ihre Freundin.

"Was wohl jetzt wird?", fragte sie flüsternd.

Die Sonne hatte sich verzogen. Über dem Palast hingen bleigraue Wolken. Es war kalt und unangenehm geworden. Aus dem Kaminrost im Schlafgemach der Prinzessin lugte eine große blaue Ratte hervor.


Kapitel 9

Das Königreich der Blauen Ratten

Tief unten in den Kellern des königlichen Schlosses war es kühl und feucht. Lange, dunkle Tunnel erstreckten sich in Richtung des Waldes und endeten an einem verlassenen Schacht. In einem dieser düsteren unterirdischen Flure befand sich eine quadratische, über und über mit Grünschimmel überzogene Halle. In der Mitte dieser Halle stand ein steinerner Thron, auf dem eine abscheuliche schnurrbärtige Ratte saß. Mit ihren schwarzen Augen, groß wie Untertassen, schaute sie feindselig drein. Die Ratte hatte eine komische blaue Farbe. Zu Füßen des Throns hatten sich, auf den Hinterläufen sitzend und die Vorderläufe über der Brust verschränkt, ihre Untertanen niedergelassen. Wahrhaftig, diese grausige Ratte war die Königin der Blauen Ratten.

"Alle mal herhören!", hob sie an zu sprechen. Sie streckte ihre Rattenschnauze in die Höhe und schaute über die Versammelten hinweg. Die schwarzen Untertassen-Augen blitzten so, als ob sie alle Umstehenden verhexen und ihnen ihren Willen aufzwingen wollten.

"Alle mal herhören! Ich, Eure Königin, befehle Euch, diese ungeschickten Pummelaner zu vernichten. Diese widerlichen, kleinen dicken Menschlein. Nur wir, die Blauen Ratten, sind wahrhaft weise. Wir, die großartigen Ratten! Wir sind im Krieg unbesiegbar! Wir sind die Boten des Bösen! Wir selbst sind das Böse und wir überbringen diese Botschaft auf direktem Wege. Wir tun nicht so, als ob wir gut wären, so wie sie. Wir richten die Erzieher unserer Kinder nicht hin. Unsere Kinder sind Kämpfer, die wissen, was das Wort 'Disziplin' bedeutet. Deshalb sind wir unbesiegbar!"

Die Horde Ratten jaulte vor Freude auf.

"Wir sind großartig!", erschallte es durch die Gewölbe der Halle.

"Wir sind weise!", tönten die Ratten wie ein Echo.

"Wir sind das Böse!", fauchte die Königin.

Einige Minuten später marschierten die Blauen Ratten in Reih und Glied über die steinernen Stufen des Königsschlosses. Das Heer der blauen Untiere vernichtete alles, was sich ihm in den Weg stellte. Die vollkommen überraschten armen Pummelaner flohen entsetzt in alle Himmelsrichtungen. Sie versteckten sich in Kleiderschränken, unter Fensterbänken und sogar in den großen Kaminöffnungen im Palast. Aber alle diese Mühen waren vergeblich – die Ratten fanden sie dennoch überall. Bis zum Abend war bereits der größte Teil der Bewohner des Königreiches im Kerker des Königspalastes gefangen.

Nur im Schlafgemach der Prinzessin Pummelinchen passierte rein gar nichts. Dort war es ganz still. Die Prinzessin schlief und neben ihr schlummerte ihre treue Freundin Pummelette.


Kapitel 10

Die erste Begegnung

Der Kaminrost schepperte und eine große blaue Ratte schaute in die Kammer. Sie schnupperte, wackelte mit ihren Barthaaren und trippelte auf das Bett zu, in dem die kleine Prinzessin schlief. Wie auf ein Kommando öffnete Pummelinchen plötzlich ihre Augen. Die blaue Ratte starrte sie ohne zu Blinzeln mit ihren Untertassen-Augen an.

"Was für ein schrecklicher Traum", flüsterte Pummelinchen.

Die Ratte rannte auf das Bett zu und steckte ihre Schnauze in die Decke. Pummelinchen wollte schreien, aber es kam kein Ton aus ihrem Mund. Sie war vor Schreck wie versteinert und starrte auf die Ratte. Da bewegte sich unter der Decke plötzlich etwas. Einen Moment später kam das verschlafene Gesichtchen von Pummelette zum Vorschein. Sie lächelte die Prinzessin an, räkelte sich und erblickte im gleichen Augenblick direkt neben dem Bett die gewaltige blaue Ratte.

"A-A-A-A-A-H-H-H-H", erschallte ihr Schrei durch den gesamten Palast. Pummelette heulte wie die Sirene eines Krankenwagens, der gerade zu einem Notfall unterwegs war.

Die Ratte zuckte zusammen, zog den Schwanz ein und tauchte durch den Kaminrost ab. Die kleine Prinzessin fiel in Ohnmacht und die verschreckte Pummelette verschwand wieder unter der Decke.


Kapitel 11

Flucht aus dem Palast

Das Gemach der Prinzessin war in abendliches Dämmerlicht getaucht. Aus weitab gelegenen Sälen des Schlosses war Lärm zu vernehmen. Pummelette saß nachdenklich auf dem großen Bett der Prinzessin und hatte sich ein orangefarbenes Kissen unter den Kopf gelegt. Die Prinzessin schlief. Die blaue Ratte war weit und breit nicht zu sehen. "Was geht hier nur vor? Wo sind der König und die Hofdamen? Woher kommen bloß diese Ratten?", fragte sich Pummelette.

"Und wo ist nur die Kinderfrau geblieben?", empörte sie sich, warf die Decke zurück und sprang auf den Boden.

"Pummelette", lächelte die Prinzessin und öffnete die Augen, "Wo ist mein Vater? Ich fühle mich wieder ganz gesund. Ich habe so einen Hunger! Ruf sofort Fräulein Pummelmeier!"

"Die Kinderfrau ist weg", entgegnete Pummelette nachdenklich.

"Du wirst nicht glauben, was ich für einen merkwürdigen Traum hatte", fuhr die Prinzessin fort. Sie räkelte sich genüsslich und achtete überhaupt nicht auf ihre Worte.

"Das war kein Traum", klärte Pummelette sie auf, während sie auf Zehenspitzen zur Tür schlich. Da öffnete die Tür sich unvermittelt und der vollkommen außer Atem geratene Pummelplatsch stürzte herein. Ihm folgte die durch und durch verängstigte Kinderfrau.

"Kleine Prinzessin – Gott sei dank seid Ihr am Leben!", lamentierte Fräulein Pummelmeier.

Pummelplatsch, der noch kein einziges Wort gesprochen hatte, rannte zum Bett und versuchte, hinauf zu klettern. Er war aber so klein und ungeschickt, dass es ihm nicht gelang und er zu Boden fiel. Die Wolldecke fiel auf ihn drauf.

"Ja, was ist denn nur passiert? Erklärt es mir doch endlich. Pummelplatsch! Hör bloß auf, Dich in meine Decke einzuwickeln!", verlangte die Prinzessin und plapperte dabei so schnell, dass man sie kaum verstand.

"Es ist schrecklich, sie sind überall, im ganzen Palast", schluchzte die Kinderfrau.

"Ja wer denn, wer denn nur?", ließ die Prinzessin keine Ruhe.

"Die Ratten", erwiderte Pummelette.

"Die Blauen Ratten", tönte die Kinderfrau wie ein Echo.

"Das heißt also, es war gar kein Traum", stellte die kleine Prinzessin niedergeschlagen fest.

"Wir müssen flüchten!", verkündete Pummelette und begann eifrig, der Prinzessin das Nachthemd vom Leib zu ziehen.

"Hör auf, Pummelette, ich kann mich selbst anziehen!", setzte Pummelinchen sich zur Wehr.

"Ja genau, wir müssen flüchten", stimmte auch die Kinderfrau zu, "Sie sind im ganzen Palast. Es sind Tausende. Sie marschieren in Reih und Glied und sperren jeden in den Kerker, sogar die Kinder! Ich konnte Pummelplatsch gerade noch retten. Wenn ich nicht Kopfschmerztabletten in der königlichen Apotheke hätte holen wollen, dann hätten ihn die Ratten gefunden. Schaut, wie er zittert."

Pummelplatsch zitterte wirklich wie Espenlaub. Nachdem sie ihn unter der Decke hervorgezogen hatten, klammerte er sich an der Hand der Kinderfrau fest und wich ihr keinen Schritt mehr von der Seite.

In der Kammer war es schon ziemlich dunkel. Fräulein Pummelmeier zündete eine Lampe an und trat als erste zur Tür heraus. Nach ihr, wie an ihr festgewachsen, trippelte Pummelplatsch. Die kleine Prinzessin und ihre treue Freundin Pummelette, beide in Mäntel gehüllt, folgten ihnen auf dem Fuß.

Nachdem sie die Palasttore wohlbehalten hinter sich gelassen hatten, strebten unsere Flüchtenden in den Wald. Hin und wieder stießen sie auf ebenso Vertriebene, wie sie es waren. Aber im Dunkeln wichen die Leute einander aus und so erkannte niemand die Prinzessin oder ihre Kinderfrau. Alle liefen tiefer in den Wald, um den unheimlichen Blauen Ratten zu entkommen.


Kapitel 12

Gefangene des Bösen

Die Palastkerker waren voll mit Menschen. Einige von ihnen saßen auf den kalten, feuchten Steinen, einige standen, an die Wand gelehnt. Man hörte Kindergeschrei und das verhaltene Schluchzen einiger Hofdamen. Die Pummelaner sahen einander nicht an. Sie schämten sich. Wie hatten sie nur zulassen können, dass eine Horde Ratten sie in diesen schrecklichen Kerker wirft? Wo war denn die Armee, auf die sie so stolz waren? Und wo war ihr weiser König, ihre Hoffnung und ihr Halt?

Der König war gleich nebenan. Er saß auf einem umgestülpten alten Eimer. Sein Mantel war mit Dreckspritzern übersät. Er unterschied sich in nichts vom Rest seiner Pummelanischen Untertanen. Seine Gedanken waren weit weg von diesem finsteren Kerker. Er hatte seine Kinder verloren, sein Königreich und er hatte sogar seine Krone eingebüßt.

"Durst, wir haben Durst", verlangten die älteren Gefangenen.

"Hunger, wir haben Hunger", schluchzten die Kinder.

"So unternehmt doch irgendwas", jammerten die Frauen.

Aber von woher sollte denn Hilfe kommen? Die gesamte Armee mit dem General an der Spitze sowie der König waren auch hier gefangen – in diesem Kellerloch. Die Blauen Ratten hatten gewonnen.

In der Tür flackerte ein Lichtschein. Auf der Schwelle stand die Königin der Blauen Ratten an der Spitze ihres Heeres. Es wurde ganz still. Alle starrten entsetzt auf das gewaltige schnurrbärtige Monster.

"Alle mal herhören!", befahl die Ratte, "Ihr alle seid erbärmliche, nichtsnutzige Menschlein. In Euren Herzen ist keine Liebe mehr. Eure Augen sind voller Hass. Ihr bringt Eure Lehrer um. Ihr seid Handlanger des Bösen. Und jetzt ist das Böse zu Euch gekommen. Wir hassen die Menschen. Wir sind das Böse, das aus Euren Herzen gewachsen ist. Wenn sich unter Euch einer findet, dessen Herz noch voller Liebe ist, könnt Ihr gerettet werden." Die Blaue Ratte ließ ihre tellergroßen schwarzen Augen durch das Gewölbe schweifen. Es schien, als ob sie sie auslachte. Mit hängenden Köpfen schwiegen die Pummelaner. Es gab nichts, das sie erwidern konnten. In ihren Herzen gab es keine Liebe mehr. Die Ratte sprach die Wahrheit.

"Dann ist über Euer Schicksal entschieden – möge es so sein!" Das eiserne Gitter schob sich krachend vor den Eingang. Nun war es klar – es gab niemanden, der sie retten konnte.


Kapitel 13

Verborgen im Wald

Die kleine Prinzessin und ihr Gefolge eilten auf einem schmalen Pfad voran und versuchten, sich unter den dichten Baumkronen zu verstecken. Im Wald war es dunkel. Der schwache Schein der Lampe erleuchtete gerade so den Weg. Von allen Seiten brachen die Geräusche des Waldes auf sie ein. Pummelplatsch, der sich immer noch an der Kinderfrau festklammerte, ließ ihre Hand immer noch nicht los.

"Bis Mitternacht werden wir es bis zur Hütte des Försters schaffen", schätzte Pummelette.

"Dort ist Herr Pummelkowski, der wird uns helfen", erwiderte, fröstelnd vor Kälte, Prinzessin Pummelinchen.

"Er muss uns helfen. Schließlich ist er sehr klug", stimmte auch die Kinderfrau zu.

"Diese widerlichen Ratten müssen verjagt und die Pummelaner befreit werden", entschied die kleine Prinzessin und hielt die Kapuze ihres Mantels fest.

Alle schwiegen zustimmend. Um Mitternacht erreichten sie tatsächlich eine große Lichtung. Die Försterhütte stand mitten darauf. Ihr einziges Fenster, nur wenige Schritte von den Flüchtenden entfernt, war schwach erleuchtet. Die Tür war nicht verschlossen. Nur eine Sekunde später stürzten Pummelinchen, Pummelette und die Kinderfrau, die Pummelplatsch nach sich zog, in die dunkle Hütte.

"Eure Hoheit, seid Ihr das?", hörte man eine bekannte Stimme aus dem Inneren und der Lehrer erschien zur Begrüßung der Prinzessin. Die Prinzessin ließ die Kapuze fallen und fing unvermittelt an zu weinen.

"Ist ja schon gut. Beruhigt Euch, Eure Hoheit", tröstete Herr Pummelkowski die Prinzessin und strich ihr über das Köpfchen, "Es gibt nichts Traurigeres als die Tränen einer kleinen Prinzessin."

Pummelinchen schluchzte weiter. Und dann fing plötzlich, für alle unerwartet, Pummelplatsch an zu heulen.

"Also nein, das hilft doch alles überhaupt nichts", entgegnete der Lehrer und wurde allmählich unruhig, "Erzählt endlich, was Euch passiert ist."

Pummelette und die Kinderfrau fingen gleichzeitig und einander ins Wort fallend an zu erzählen. Vor dem inneren Auge des Lehrers zog das Heer Blauer Ratten vorbei. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Nach dem Ende der Geschichte, ließen sich die Gäste auf einer alten Strohmatratze nieder. Nach einer Weile hörte man nur noch das Prasseln der Holzscheite im Herd und das friedliche Atmen schlafender Kinder. Herr Pummelkowski saß auf dem einzigen Stuhl. Mit dem Kopf in den Händen dachte er nach.

"Guter Rat kommt über Nacht", sprach er und wandte sich der Kinderfrau zu, "Mir ist da ein Gedanke gekommen. Aber erst mal lasst uns schlafen. Wir werden morgen all unsere Kräfte brauchen."


Kapitel 14

Die Liebe der kleinen Prinzessin

Am Morgen war es düster und regnerisch. Es schien fast so, als ob das Wetter auch gegen die Flüchtenden wäre. Die Tür zur Hütte öffnete sich knarrend und auf der Schwelle erschien ein langhaariger Jüngling. Er schaute flüchtig zur Prinzessin und wandte sich dann dem Lehrer zu:

"Sie haben mich gerufen, Maestro?"

"Darf ich vorstellen, Eure Hoheit", wandte sich Herr Pummelkowski an die Prinzessin, "Das ist Kalio, der Sohn des Försters und mein Schüler. Er spielt wunderbar Geige."

Kalio verneigte sich höflich vor der Prinzessin. Wie schön er war! Volle schwarze Locken umrandeten sein blasses Gesicht. Seine grauen Augen schauten klug und melancholisch drein. Die Prinzessin errötete und senkte ihren Blick, aus Angst, ihre Gedanken zu verraten.

Es war tatsächlich so, dass die kleine Prinzessin sich auf den ersten Blick in den Jüngling verliebt hatte. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust, wie ein Vögelchen in Gefangenschaft. Keine Ahnung, wie lange sie noch wie erstarrt dagestanden hätte, wäre da nicht Pummelette gewesen, die ihr zuflüsterte:

"Oh, was für ein schöner Bursche! Ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt."

"Kalio wird uns helfen", gab der Lehrer bekannt, "Er wird uns auf jeden Fall helfen. Er kann Geige spielen und hat ein reines Herz."

"Ich verstehe überhaupt nichts", hob die Kinderfrau an zu sprechen, "Was haben denn die Geige und ein reines Herz damit zu tun?"

"Nun ganz einfach, die Blauen Ratten können nur von jemandem besiegt werden, der ein reines Herz hat und die Zaubergeige spielen kann."

Herr Pummelkowski ging zum Herd und begann seine Erzählung.


Kapitel 15

Das Geheimnis der Zaubergeige

"Es gibt eine alte Legende, die folgendermaßen lautet", begann der Lehrer seine Geschichte mit ruhiger Stimme, "Eines Tages, wenn die Liebe aus den Herzen der Menschen verschwindet, werden riesengroße Blaue Ratten aus den Kellern aufsteigen und großes Leid wird über alle Einwohner Pummellands kommen. Bleigraue Wolken werden am Himmel aufziehen, die Vögel werden aufhören zu singen und die Blumen verwelken. Alle Menschen werden dann Gefangene des Bösen sein."

"Und wie kann man das Böse besiegen?", rief Pummelette erschrocken aus.

Herr Pummelkowski schaute seine Zuhörer eindringlich an:

"Das Böse zu besiegen, wird nur einem Menschen mit reinem Herzen gelingen. Ich glaube, dass Kalio dieser Mensch ist", fuhr der Lehrer fort, "In den alten Aufzeichnungen fand sich noch ein weiterer Hinweis. Dort wird ein junger Mann erwähnt, eine Zaubergeige und die Liebe. Nur die Liebe kann über das Böse siegen. Das Licht der Liebe erfüllt die Seele eines jeden Menschen. Die Blauen Ratten fürchten sich vor dem Licht. Die Blauen Ratten fürchten sich vor der Liebe."

"Aber wo finden wir bloß diese Zaubergeige?", fragte die Kinderfrau beunruhigt, "Die Ratten können jeden Augenblick im Wald auftauchen."

"Ja, wir müssen uns beeilen", stimmte der Lehrer zu, "Die Geige befindet sich in einer Höhle auf dem Gipfel des Berges. Der Weg dorthin ist voller Gefahren. Wir müssen dazu das Tal der Gespenster durchqueren."

"Das Tal der Gespenster!", flüsterte Pummelplatsch bange und ergriff erneut die Hand der Kinderfrau.

"Ach, Du ängstlicher kleiner Fettsack!", fiel Pummelette wütend über ihn her, "Wir lassen Dich hier, damit die Ratten ihre Freude an Dir haben!"

Pummelplatsch sagte kein Sterbenswörtchen mehr und schaute sie eingeschnappt an. Der pummelige Pummelplatsch hatte in den letzten Tagen vor lauter Aufregung abgenommen, so dass man ihn kaum noch erkannte. Pummelettes Ausbruch ihm gegenüber war also nicht gerechtfertigt gewesen.

"Wir werden alle gemeinsam aufbrechen", mischte sich der Lehrer ein. Zu der Kinderfrau gewandt fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort: "In den Herzen dieser kleinen Kinder ist überhaupt keine Liebe mehr übrig geblieben."


Kapitel 16

Das Tal der Gespenster

Das Tal der Gespenster befand sich auf halbem Wege zum Gipfel des Schwarzen Berges. Auf dem schmalen Fußweg konnte man nur hintereinander gehen. Pummelplatsch musste nun zu seinem Bedauern die Hand der Kinderfrau frei geben. Herr Pummelkowski drehte sich zu der merkwürdigen Wandertruppe um:

"Was auch immer passiert, kommt nicht vom Pfad ab!", forderte er eindringlich, "Derjenige, der vom Weg abkommt, wird sich augenblicklich in einen Haufen Steine verwandeln."

"Fürchtet Euch nicht vor den Gespenstern", fügte Kalio hinzu, "Sie können uns nichts antun. Die Geister wohnen in der Welt der Schatten und wenn ihnen langweilig wird, kommen sie in die unsrige. Sie können Kinder erschrecken oder zum Lachen bringen. Manchmal singen sie. Die Lieder der Gespenster sind gefährlich, weil sie die Menschen dazu bringen, den Sinn ihres Lebens zu vergessen. Hört nicht auf die Lieder der Gespenster und verlasst auf keinen Fall den Fußweg!"

"Schon viele haben versucht, die Zaubergeige zu finden", hob der Lehrer wieder an zu sprechen, "Aber alle sind in diesem Tal geblieben."

Er wies mit der Hand in die Ferne. Vor den Augen der kleinen Wanderer lag ein bezauberndes Bild. Steinformationen erstreckten sich in den bleigrauen Himmel. Sie sahen fast aus wie menschliche Skulpturen. Ein silberner Schein umgab jede der Figuren. Roter Mondschein fiel durch bedrohlich wirkende Wolken. Es war kalt und unangenehm. Nebelschwaden waberten immer wieder den Boden entlang. Es sah aus, als ob die Flüchtenden direkt über Wolken laufen würden. Die Prinzessin zog die Schultern fröstelnd hoch und wickelte sich enger in ihren Mantel ein.

"Der Weg ist ganz vom Nebel bedeckt", war wieder die beunruhigte Stimme des Lehrers zu hören.

"Ich kenne den Weg", erwiderte Kalio, "Haltet Euch aneinander fest. Dieses Tal erscheint nur so groß. Folgt mir."

Pummelette schmiegte sich an Prinzessin Pummelinchen. Hinter ihr schnaufte Pummelplatsch, der sich am Gürtel festhielt. Die Prozession bewegte sich langsam in das Tal hinab. Die ständig vor sich hin brabbelnde Kinderfrau bildete ihren Abschluss.


Kapitel 17

Die Begegnung mit den Gespenstern

Nach und nach gewöhnten sich die Augen der Kinder an das komische Licht im Tal. Gespenster waren nirgendwo zu sehen, obwohl die Kinder nach allen Seiten Ausschau hielten und sich die Steinformationen genau anschauten. Auf einmal ertönte eine Art Pfeifen und danach eine leise, bezaubernde Melodie.

"Haltet Euch die Ohren zu!", warnte der Lehrer.

Die Prozession stoppte. Die Kinder bedeckten ihre Ohren mit den Händen und schauten sich langsam um. Wie aus dem Nichts erschienen plötzlich direkt vor ihnen Meerjungfrauen in der Luft, die sich an den Händen hielten, im Kreis tanzten und wundervolle Laute von sich gaben. Ihre Kleidung bestand aus Schuppen und schillerte im rötlichen Mondlicht. Grüne Algen umrahmten ihre weißen Gesichter. Ihre langen Fischschwänze verloren sich in den Nebelschwaden.

Plötzlich lachte Pummelplatsch laut auf. Eine Meerjungfrau hatte den Knirps umschlungen und hochgehoben. Die kurzen Beinchen des kleinen Jungen baumelten in der Luft.

"Stopp!", rief die Kinderfrau und griff nach den über ihr schwebenden Schuhen Pummelplatschs. Nach der Kinderfrau schrieen auch Pummelette und die kleine Prinzessin. Erschrocken von dem plötzlichen Geschrei, zuckte die Meerjungfrau zusammen und ließ Pummelplatsch fallen, der direkt auf Fräulein Pummelmeier landete.

Und dann geschah das große Unglück. Die Kinderfrau verlor das Gleichgewicht und geriet vom Weg ab. Im selben Augenblick verwandelte sie sich in eine Statue aus Stein. Das alte Fräulein Pummelmeier sah nun genauso aus wie die anderen Steinbrocken, die entlang des Weges standen. Die Wanderer blieben wie erstarrt stehen und rührten sich vor lauter Angst nicht mehr.

"Fräulein Pummelmeier, meine Kinderfrau!", weinte die Prinzessin.

Der Lehrer seufzte traurig und wies auf den Gipfel des Schwarzen Berges. Sie mussten weiter marschieren. Sie mussten die Zaubergeige finden und die Einwohner Pummellands retten.

Die Meerjungfrauen verschwanden so plötzlich wie sie aufgetaucht waren. Aber unsere Freunde waren keine zwei Schritte gelaufen, als sie erneut auf weitere Einwohner des Tales trafen. Es waren Schlossgespenster, mit einer Meute gewaltiger Hunde im Schlepptau. Über den Köpfen der Flüchtenden kreisten Fledermäuse in Schwärmen. Aber weder die Prinzessin noch ihre treue Freundin Pummelette schauten weiter um sich.

"Immer auf dem Weg bleiben, immer schön auf dem Weg bleiben", flüsterte die kleine Prinzessin.

Nach und nach nahm ihre Angst ab. An der Spitze marschierte mit festem, sicherem Schritt der der schöne Kalio. Schon bei dem Gedanken an den Tod ihrer Kinderfrau traten Prinzessin Pummelinchen die Tränen in die Augen. Die Gespenster kreisten um die Kinder. Sie riefen, kreischten, schlugen mit den Flügeln und sangen ihre seltsamen Lieder – in der Hoffnung, damit die Gefährten vom Weg abzubringen. Aber da waren der Lehrer Pummelkowski, die treue Freundin Pummelette, der ungeschickte Pummelplatsch und natürlich er, der liebe, nette Kalio. In diesem Augenblick wurde der Prinzessin klar, dass sie alle Widrigkeiten überkommen und den König und die Pummelaner befreien würden.


Kapitel 18

Die Höhle der alten Hexe

Die alte Hexe Pummelante wartete auf ihren Besuch. Eine große Glaskugel, die von der Höhlendecke baumelte und aussah wie eine kleine Sonne, hatte ihn ihr schon lange vorher angekündigt. Die Kugel schwang in der Luft hin und her, mal von der Hexe weg, mal auf sie zu.

"Ich sehe schon, ich sehe schon", begann die Alte mit ihren Händen vor der Kugel zu gestikulieren, "Was zum Teufel wollen ungebetene Gäste hier? Wegen der Geige werden sie wohl kommen. Soll ich sie ihnen geben? Ach was, da könnt Ihr lange warten!"

Die Alte fing die pendelnde Kugel ein und begann, aufmerksam in sie hineinzuschauen.

"Da sieh mal einer an! Was für ein sympathisches Mädchen. Das muss die Prinzessin sein", redete die Hexe mit sich selbst, als sie Pummelinchen sah.

Eigentlich war sie eine gute Hexe und noch dazu sehr einsam. Sie unterhielt sich gerne mit Menschen. Da sie aber niemanden hatte, mit dem sie plaudern konnte, führte sie häufig Selbstgespräche.

"Und wer schreitet da an der Spitze voran? Ist das etwa Kalio?", regte sich die Alte auf, "Natürlich ist es Kalio, der Holzkopf, er würde auch das ganze Dorf mit hierher bringen."

Die alte Hexe wusste nicht, ob sie sich über den Besuch des unvernünftigen Burschen freuen oder sich über ihn ärgern sollte. Vor langer Zeit hatte Pummelante Mitleid mit dem kleinen Kalio und rettete ihn vor einer wütenden Bärin. Seither besuchte er die Alte regelmäßig. Zuerst war sie verärgert darüber, aber dann gewöhnte sie sich daran und gewann den Kleinen sogar lieb. Eines Tages zeigte sie ihm die Zaubergeige. Und von diesem Tag an hatte Kalio keine Ruhe mehr – er musste unbedingt das Geigenspiel erlernen. Und weil er beim Lernen sehr fleißig war, gelang ihm dies sehr schnell.

Kalio kam jeden Tag zur Hexe und sie reichte ihm die wertvolle Geige. Und sobald er anfing zu spielen, gingen merkwürdige Veränderungen mit der Alten vor. Sie brach in Tränen aus, strich Kalio über den Kopf und wurde so gutherzig, dass die Schlangen, Skorpione und sonstiges Ungeziefer in ihrer Höhle nach dem ersten Konzert des talentierten Jünglings flugs das Weite suchten.

"Kalio, es ist tatsächlich Kalio", empörte sich die Hexe erneut und ging zum Höhleneingang.

Die Prozession kam langsam näher. Die Wanderer schauten ängstlich zu der alten Hexe, wie sie am Eingang ihrer Höhle stand.


Kapitel 19

Aufklärung der Verhältnisse

Kalio hatte keine Angst vor der alten Hexe. In all den Jahren, die er sie kannte, hatte sie ihm nie etwas zuleide getan. Aber jetzt, als er ihren finsteren Blick und die böse funkelnden Augen bemerkte, verlangsamte er seinen Schritt.

"Sie mal einer an, ist das, wie Du Dich bei mir für meine Güte bedankst?", warf ihm die Alte vorwurfsvoll entgegen, "Ich wusste doch, dass man den Menschen nicht vertrauen darf, ich wusste es. Warum hast Du sie hierher gebracht?", zischte sie ihn zornig an und lief vor dem Höhleneingang auf und ab.

Unsere Wanderer waren sehr müde. Angst hatte sie die vergangenen Tage verfolgt. Erst die unheimlichen Blauen Ratten, dann die Geister aus dem Tal der Gespenster. Und jetzt erschien auch noch eine aufgebrachte Hexe – das verhieß nichts Gutes.

"Schau mich nicht so an", fuhr Pummelante die Prinzessin an.

"Helft uns, bitte helft uns", flehte die kleine Prinzessin.

"Die Blauen Ratten werden bald hier sein. Pummelland ist in Gefahr", fügte der Lehrer hinzu, während er einen Schritt nach vorn ging und sich vor die Kinder stellte.

"Ratten? Schon wieder diese ekelhaften Ratten", verzog die Alte das Gesicht und machte langsam den Höhleneingang frei.

Sie mochte Ratten überhaupt nicht. Und ihre Freunde – die Schlangen, Skorpione und Fledermäuse – hatten schlichtweg Angst vor ihnen.

"Ich hasse die Ratten", brummte die Hexe, "Besonders ihre Königin, diese glotzäugige, schnurrbärtige Angeberin. An allem sind nur die Menschen schuld! Die Blauen Ratten verkörpern das Böse. Sie tauchen dort auf, wo das Gute verschwunden ist. Sie erobern neue Länder und führen dort ihre Ordnung ein. Sie sind schlimmer als die Pest, weil man sie nicht besiegen kann!"

"Du hast die Geige vergessen, unsere Zaubergeige", unterbrach Kalio sie.

"Geige? Ach ja, die Geige! Aber wer soll sie denn spielen? Etwa Du, kleiner Landstreicher?", schnaubte die Hexe verächtlich, "Weißt Du, dass die Blauen Ratten nur von einem Menschen mit reinem, liebendem Herzen besiegt werden können? Bist Du Dir sicher, dass Du ein solcher bist? Oder hast Du vor, Dich um Deines eigenen Vergnügens willen den Ratten auszuliefern?"

"Ich werde es versuchen", erwiderte Kalio leise, umarmte die alte Hexe und zog sie zu der Truhe, in der die Geige lag.

Seufzend und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, reichte ihm die Alte die Geige. Kalio nahm den Bogen und begann zu spielen. Der alten Pummelante traten Tränen in die Augen.

"Vielleicht hast Du Recht, mein Junge, Du wirst sie tatsächlich besiegen."


Kapitel 20

Der Sieg über die Blauen Ratten

Der Rückweg zum Palast war wesentlich schneller. Die Hexe hatte den Flüchtenden nicht nur die Zaubergeige gegeben, sondern sie auch in nur einem Augenblick durch das Tal der Gespenster befördert. Nur eine Sache betrübte unsere Wanderer, und das war die Tatsache, dass Pummelante den kleinen Pummelplatsch bei sich behalten hatte.

"Wenn Ihr die Blauen Ratten verjagt und mir die Geige zurückgegeben habt, dann bekommt Ihr auch Euren Dreikäsehoch zurück", sprach die Hexe und nahm Pummelplatsch an die Hand.

Der Kleine leistete keinen Widerstand. Beim Abschied gab die Prinzessin Pummelplatsch einen Schmatzer in sein schmutziges Gesichtchen und flüsterte:

"Sei nicht traurig, wir sind bald zurück."

Pummelplatsch lächelte und hielt seine eingefallenen Bäckchen den Freunden für Abschiedsküsse hin.

"Denkt daran", erinnerte die Hexe Pummelante beim Abschied, "Die Blauen Ratten müssen in dem alten verlassenen Schacht eingemauert werden. Die Zaubergeige hilft dabei, die Liebe in den Herzen der Menschen wieder zu erwecken. Und dann bleibt nicht mehr viel zu tun übrig – eine Wand zu mauern ist überhaupt nicht schwierig."


Als sie vor dem Palast standen, begann Kalio zu spielen. Der zarte Klang der Zaubergeige ertönte und drang in die Seele eines jeden Menschen ein. Die Leute hörten der Musik zu. Sie lächelten. In ihren Herzen wurde die Liebe wieder geboren. Mit jedem Klange wurde die Natur lebhafter. Die bleigrauen Wolken über dem Palast lösten sich auf. Die Vögel stimmten wieder ihren Gesang an. Die purpurroten Rosen im Palastgarten begannen wieder zu blühen und zu duften. Die Musik erfüllte das gesamte Schlossgelände. Als Echo schallte sie durch die Gänge des Schlosses und erfüllte die Räume. Es waren keine Ratten zu sehen. Als sie in den finsteren Keller herabstiegen, bemerkten die Freunde eine offene Tür.

Der verängstigte König und sein Gefolge standen auf den untersten Stufen der Treppe.

"Vater!", warf sich die Prinzessin Pummelinchen in seine Arme.

Dem alten König fehlten die Worte, die Tränen schossen ihm in die Augen. Er drückte das Köpfchen der kleinen Prinzessin an sich und weinte lautlos.

"Vater, mein liebster Vater", flüsterte die kleine Prinzessin und küsste ihn.

"Eure Hoheit, wo sind denn die Ratten?", fragte der besorgte Lehrer.

"Kaum erklang diese zauberhafte Musik, fingen die Ratten an, panikartig in den Keller zu flüchten", antwortete der König, nachdem er seine Tränen getrocknet hatte, "Dort ist der Durchgang zu dem alten verlassenen Schacht."

"Eure Hoheit", hob Herr Pummelkowski wieder an zu sprechen, "Der Schacht muss zugemauert werden."

An der Spitze eines Trupps Soldaten bewegten sich der Lehrer und Kalio zum Durchgang, der zu dem alten Schacht führte. Ein Teil des Schachts war mit Steinen zugeschüttet. Durch einen schmalen Spalt klaffte ein schwarzes Loch. Daneben saß auf den Steinen die Königin der Blauen Ratten. Mit glühenden Augen blickte sie hasserfüllt auf die Menschen.

"Ihr glaubt, dass Ihr gewonnen habt?", zischte das blaue Monster, "Dem ist überhaupt nicht so! Die Menschen werden wieder grausam werden, sie werden einander wieder beneiden, sich betrügen und die Liebe wird verschwinden. Wir werden zurückkehren und das Böse wird erneut auf der Welt triumphieren. Das Böse wird ewig leben!"

"Nein", unterbrach sie der Lehrer, "So wird es nie wieder sein. Nur die Liebe kann ewig leben! Ja, die Menschen machen Fehler, aber sie lernen aus ihnen und lehren ihre Kinder entsprechend. Es gibt nichts auf der Welt, das stärker als die Liebe ist. Im Namen der Liebe halten wir alle Prüfungen aus, im Namen der Liebe ist Fräulein Pummelmeier gestorben und im Namen der Liebe zerstören wir das Böse."

Kalio fuhr mit dem Bogen über die Saiten der Geige. Die Blaue Ratte begann zu zittern. Aus ihren gewaltigen Augen stießen Flammen. Kalio spielte lauter. Die Musik war wunderschön. Die Königin der Blauen Ratten begann, sich zu drehen, schrumpfte zusammen und fauchte. Es schien, als ob sie unerträgliche Schmerzen hätte. Noch einen Augenblick und sie war verschwunden.


Als sie zurückgekehrt waren, begannen die mutigen Wanderer dem König aufgeregt und durcheinander ihre Abenteuer zu erzählen. Der König wurde nicht müde, die Tapferkeit und Findigkeit seiner Untertanen zu bewundern. Er war glücklich – seine Kinder, sein Hofstaat und sein Volk waren zurück. Nachdem er sich beruhigt und ausgiebig nachgedacht hatte, verfasste der König eine Menge weiser Befehle. Der erste davon bezog sich auf den alten Schacht. Der Eingang zu ihm wurde für immer zugemauert. Und damit die Einwohner Pummellands niemals vergessen mögen, welche große Kraft die Liebe besitzt, sollte ihnen Kalio jeden Abend auf der Geige vorspielen. Jedoch nicht auf der Zaubergeige, sondern auf einer gewöhnlichen. Die Zaubergeige musste nämlich der alten Hexe zurückgegeben werden, damit der als Pfand bei ihr verbliebene Pummelplatsch ausgelöst werden konnte.

Der kleine Pummelplatsch kehrte nicht mit leeren Händen von der Hexe Pummelante zurück. Die Hexe hatte ihm ein Geschenk gemacht – ihre Glaskugel, mit deren Hilfe er in die Sterne schauen konnte. Nachdem sie die Zaubergeige wieder in ihrer Truhe verstaut und sich der leidigen Glaskugel entledigt hatte, sperrte sie sich in ihrer Höhle ein und wollte niemanden mehr sehen.

Im Land gab es einige Änderungen. Der Kindergarten "Pummellütt" wurde ein gewöhnlicher Kindergarten, in dem die Erzieher die Kinder erzogen und die Kinder hören mussten. Der Lehrer Pummelkowski komponierte weiter Musik. Und der junge Geiger Kalio trug diese mit großem Erfolg vor.

Und die Prinzessin? Die kleine Prinzessin und ihre treue Freundin Pummelette gehen seit Anfang des Jahres in die Schule. Aber das ist bereits eine andere Geschichte. Und diese hier endet gut. Das Gute hat das Böse besiegt und die Herzen der Menschen sind wieder voller Liebe.


Deutsch von Barbara Wiegel, Valery Gusak


Оглавление

  • Im Kindergarten "Pummellütt"